Werberin vong leben her - eine kolumne
Für das Boxhorn Magazin schrieb ich Anfang des Jahres 2018 einen kritischen Artikel über die Werbewelt.
Some good and some bad.
Werberin vong Leben her.
Eigentlich wollte ich nur schreiben. Geschichten, Kolumnen, Drehbücher, Poesie. Brotlose Kunst eben. Aber der Wunsch nach finanzieller Unabhängigkeit trieb mich in eine kommerziellere Richtung. Ich dachte, ein bisschen Werbung texten und die Tür zur Bestsellerautorin wird sich schon von ganz alleine öffnen.
Doch so einfach ist das nicht. Denn wer sich einmal für die Werbebranche entscheidet, kommt da nicht mehr so schnell wieder raus. Sie wird zu mehr als nur einem Beruf, sie wird dein Leben. Werber von ganzem Herzen oder gar nicht. Was dazwischen ist kaum möglich. Bei den Arbeitszeiten wäre das ja auch reine Zeitverschwendung.
Ich bin sehr jung in die Werbung eingestiegen, zumindest jünger als der durchschnittliche Quereinstiegswerber. Mit 17 „wusste“ ich, das ist es. Mit 18 habe ich mich für einen Studienplatz bei der Miami Ad School beworben. Mit 19 war ich Copywriter in der Ausbildung. Mit 21 saß ich dann in meiner ersten Agentur. Während meiner Zeit an der Miami Ad School habe ich mehr über mich selbst erfahren als über die Werbung an sich. Es war ein wahres Haifischbecken und eine gute Vorbereitung auf das Agenturleben zu gleich. Zwei Jahre hatte ich nichts anderes als die Schule im Kopf. Nächtelang keinen Schlaf. Nach einem Jahr kamen dann die Praktika. Ich jettete von Sydney nach Miami und von Miami nach New York. In kleinen Designstudios und großen Agenturen wie Saatchi & Saatchi, Peoples, Ideas and Culture oder Droga5 lernte ich hauptsächlich, wie man „Ideen macht“. Dementsprechend wurde ich nach 2 Jahren harter Werbesimulation mit einem Portfolio voller „amazing ideas“ direkt in die wahre Werbewelt katapultiert. Oder sollte ich besser Werbeleben sagen?
In nur wenigen Wochen wurde mein Wortschatz mit Phrasen wie „Campaignability“, „Mock das mal“, „Stresserkampagne“ und “Kundenleckerli” bereichert. „Die Chance auf Gold“ und die Aussicht auf die zehn Cannes-Lions auf der anderen Seite meines Schreibtischs ließen mich Wochen lang durcharbeiten. Sch**ß auf Gesundheit, wenn du Award haben kannst. Aus 40 Stundenwochen wurden schnell mal 60 – 80.
Kein Wochenende – kein Ding. Ich profilier’ mich doch gern mit meinen Augenringen. Das Wer-am-längsten-in-der-Agentur-bleibt-Wettspiel treibt den Menschen zu Höchstleistungen. Ein bisschen gestutzt habe ich erst, als ich um 3 ins Bett ging, gegen 4 Uhr schlafwandelnd eine wahre Traumidee aufschrieb, und um 6 beim Headlines-Schreiben langsam
den Verstand verlor.
21 Jahre alt und ausgebrannt. Wie die Augenringe mit 30 aussehen werden, wollte ich nun doch nicht mehr wissen. Aufgeben wollte ich aber auch nicht. Denn mein wahres Dilemma mit der Werbung basierte nicht auf der harten Arbeit. Man wird immerhin dafür bezahlt, sich verrückte Ideen auszudenken. Außerdem trifft man Menschen mit einzigartigen Geschichten. Man lernt mit extremen Druck umzugehen und bleibt dabei trotzdem für immer Kind im Kopf. Man ist immer up-to-date und wird dank der unterschiedlichsten Branchen und Kunden ein Lexikon für absolute Nischenthemen. Dies sind alles Aspekte, die ich bis heute an der Werbung zu schätzen weiß.
Mein Dilemma mit der Werbung liegt in ihrer Moral. Werbung ist vieles. Sie ist hart. Sie ist lustig. Sie ist emotional. Sie ist sexistisch „because sex still sells“. Sie ist modern und Mad Men zugleich. Sie kann unglaublich kreativ und unglaublich dämlich sein. Sie ist rassistisch, sie ist nationalistisch, sie ist bodyshaming, irreführend und kommerziell. Warum muss ihr Output hauptsächlich einen negativen Einfluss auf die Menschheit haben, wenn sie doch die Kraft hat, eins der größten Sprachrohre der Welt zu sein. Sie hat das Potenzial Millionen von Frauen zu Feministinnen zu machen, kann Menschen jeglicher Nationen ansprechen, kann weltoffen und tolerant sein, kann in eine politische Richtung weisen, einen Standpunkt einnehmen, humanitäre Hilfe leisten, der Menschheit den Kopf verdrehen.
Der ein oder andere nette Vorgesetzte sagt: „Kein Stress. Wir machen nur Werbung. Wir retten keine Leben“. Dabei kann Werbung sehr wohl Leben retten. Denn, wie die Allgemeinheit schon sagt, Werbung ist manipulativ. Der Job besteht schließlich darin, auf dem schnellsten und besten Weg in die Köpfe der Menschen zu gelangen. Also warum sollte man das nicht nutzen, um sich für Themen wie Gender-Equality, LGTBQ-Rechte, Gun-Laws, Umweltschutz oder Bewegungsfreiheit einzusetzen. Niemand sagt, dass man gleich mit einer großen Anti-Rassismus-Kampagne um die Ecke kommen muss. Alleine Models verschiedener Migrationshintergründe zu zeigen, kann schon ausreichen, um das Thema in den Köpfen der Menschen zu normalisieren.
In Kampagnen nutzen wir Slogans wie „Think differently.“, „Find your greatness“, Just do it.“, „Nichts ist unmöglich“, dabei sollte der 08/15 Werber das erst einmal auf sich selbst anwenden. Immer wieder schauen wir zu den großen Marken auf. Aber warum sind Marken wie Nike und Apple so erfolgreich mit ihren Kampagnen? Weil sie neben ihrem Produkt hauptsächlich ein Lebensgefühl verkaufen, ein Moralpflaster für den Käufer, die Idee von „Wenn ich kaufe, dann bin ich“. Das mag großen Nutzwert für die Marke haben, kann aber auch einen positiven Einfluss auf den Konsumenten haben.
Man könnte argumentieren, Nike’s „The force is female“ Kampagne habe den Feminismus kapitalisiert. Mag sein, aber das ist immer noch besser, als Poster von Frauen in engen Yogahosen in die Städte zu hängen.
Die Kampagne „Adopt a little fan“ des brasilianischen Vereins
„Sport Club Recife“ wollte Aufmerksamkeit für die vielen Waisenkinder erregen, die älter als 7 Jahre alt sind und sich nichts mehr als eine Adoptivfamilie wünschen. Der Verein fand 43 Kinder, die sich als leidenschaftliche Fußballfans entpuppten und somit eine besondere Gemeinsamkeit mit den potenziellen Eltern teilten. Am Ende der Kampagne hatten 6 Kinder eine neue Familie. Die Medien beschwerten sich darüber, dass es nur eine temporäre Aktion war und andere Kinder ausgeschlossen wurden. Trotzdem hat die Kampagnen 6 Kindern eine Familie geschenkt und das kann ihnen niemand nehmen.
In einer Welt wie dieser, in der Staatsoberhäupter offen gegen Migration, Frauen, Umweltschutz und allgemeine Menschenrechte wettern und die Größe ihrer Atomwaffen-Knöpfe vergleichen, brauchen wir jede Plattform, die es schaffen kann, die Menschheit bei Sinnen zu halten. Wir brauchen eine Generation junger Werber, die sich, mehr als jemals zuvor, für Weltoffenheit einsetzt und Kunden in die Verantwortung zieht, ihre Sprachrohre einzusetzen.
Kollegen scheuen sich nicht davor, meine Artpartnerin darum zu bitten, die Hautfarbe eines farbigen Models weiß umzufärben. Großkonzerne wollen ausschließlich nur nordeuropäische Frauen (d.h. blond) in ihrer Werbung zeigen, weil sie keine politischen Aussagen treffen wollen. Wie man damit KEINE politische Aussage trifft, weiß ich bis heute nicht. Schokoladenmarken wollen keine Models mit runden Gesichtern. Berater „briefen“ Autokalender mit nackten Frauen. Zwischen den Kollegen fallen Aussagen wie „MANgency“ oder „Wenn ich Director höre, denkt doch jeder erst mal an einen Mann.“
Als passionierte Feministin oder allgemein guter Mensch verzweifle ich da schnell im Zwiespalt zwischen der eigenen Moral und nicht gefeuert werden wollen. Am nervenaufreibendsten sind die Kollegen, die sich schon längst damit abgefunden oder erst gar nicht versuchen, etwas zu verändern. „Du wusstest doch, was auf dich zukommt.“ „So ist Werbung nun mal.“. Meine Antwort auf solche Aussagen ist immer wieder die Gleiche: „Nein, so muss Werbung nicht sein.“ Werbung kann das genaue Gegenteil sein. Und aus diesem Grund, so frustrierend, anstrengend und moralisch verwerflich, wie der Beruf auch sein mag, gebe ich nicht auf.
Die Aussicht auf eine gute Idee, die das Licht der Welt erblickt und zu einer weltverändernden Kampagne wird, motiviert mich letztenendes doch immer wieder dazu, weiter zu machen. Das Ziel: Die Plattform verantwortungsvoll zu nutzen und aus dem einen Prozent guter Werbung
mindestens 99 zu machen.